SUBCULTURE

Lang lebe die
Independent
Venue

Februar 2020
Fotos eingereicht von Charlie Harris,
Jess Openshaw, Jo Bradtke, Lee Temple,
Max Dillon & Patrick Starsky

Während wir auf die Independent Venue Week (die Woche der unabhängigen Veranstaltungsorte) und sieben turbulente Tage voller Livemusik zurückblicken, haben wir endlich einen Grund, optimistisch in die Zukunft der unabhängigen Musikclubs vor Ort zu blicken.

Von dem Auftritt von Nadine Shah im The Cluny in Newcastle bis hin zu Warmduscher im Horn in St. Albans – die Independent Venue Week 2020 war ein wahres Fest der Musik. Dabei standen ganz eindeutig unsere unverzichtbaren Veranstaltungsorte an der Basis und die Menschen dahinter im Rampenlicht.

Die Woche fiel mit einer wichtigen Ankündigung des Westminster Council zusammen und einer Neuigkeit zu einem Club, der uns sehr am Herzen liegt: Der 100 Club an der Londoner Oxford Street hat einen Sonderstatus erhalten, was bedeutet, dass er demnächst von der Grund- und Gewerbesteuer befreit sein wird. In dem legendären Veranstaltungsort, den es seit seiner Eröffnung als Jazz-Club in den 40er Jahren gibt, haben schon Größen wie die Sex Pistols, Oasis, Paul McCartney und Amy Winehouse auf der Bühne gestanden. Die roten Wände sind mit Fotografien aus 80 Jahren Musikgeschichte bedeckt. Aufgrund der hohen Steuern und Gebühren kämpft der Club seit Jahren ums Überleben, sodass der neue Sonderstatus für den Eigentümer Jeff Horton eine große Erleichterung darstellt.

Die guten Nachrichten sind allerdings nicht auf den 100 Club begrenzt. Letzte Woche gab die Regierung bekannt, dass die Grund- und Gewerbesteuern für Hunderte von kleinen und mittelgroßen unabhängigen Veranstaltungsorten in ganz England und Wales gesenkt werden. Lang lebe die Independent Venue ...

„Lokale und unabhängige Clubs haben mir und jedem anderen Freund, den ich in der Musikbranche habe, den Einstieg ermöglicht. Ohne sie würden wir alle ziellos umherirren, in der Vorstellung, dass der einzige Weg, in der Musikindustrie zu bestehen, darin besteht, für ein paar Cent an der Ecke Queen Street den Song ‚Wonderwall‘ herunterzuleiern.“

Tom von Buzzard Buzzard Buzzard

„Ich glaube, die meisten dieser Orte werden von Menschen betrieben, die Musik und Kneipenbesuche lieben, und diese beschäftigen ihrerseits Menschen, die Musik und Kneipenbesuche lieben, was bedeutet, dass sie absolut authentisch sind. Es geht um den Spaß an der Musik und Geselligkeit. Sie können auf jeden Fall stolz darauf sein, sich über Wasser zu halten und ihre Ausgaben ohne finanzielle Unterstützung zu decken. Ich ziehe meinen Hut vor allen, die als Unabhängige über die Runden kommen.“ Amy Taylor von Amyl and the Sniffers

In diesem Jahr haben wir euch gebeten, euch an der IVW zu beteiligen, indem ihr eure Konzertkritiken und Fotos aus der Veranstaltungswoche einsendet. Hier sind einige unserer Lieblingsbeiträge .../p>

Black Country, New Road und Jerskin Fendrix – The Windmill, Brixton – 27. Januar 2020

von Max Dillon

Am ersten Tag der Independent Venue Week im Windmill starteten Jerskin Fendrix und Black Country, New Road ihren Klang-Angriff auf die Sinne des Publikums des renommierten Brixton-Pubs. Als grandioser Opener, nur mit einem MacBook und seinem unbändigen Spielwitz ausgestattet, rumpelte Fendrix durch sein Set voller krassester experimenteller Popmusik. Nachdem Fendrix das Publikum mit der Ankündigung eines neuen Albums in Begeisterung versetzt hatte, spielte er die auf SoundCloud veröffentlichten Songs ‚Swamp‘, ‚A Star Is Born‘ sowie seine offizielle Debütsingle ‚Black Hair‘. Mit seinem von unzähligen Popkultur-Referenzen durchzogenen Set war Fendrix der perfekte Support für die post-ironische Cambridge-Band Black Country, New Road.

Der Ton für die genreverbindende Klangerfahrung eines BCNR-Gigs wurde von einem von Klezmer durchdrungenen Instrumentalstück vorgegeben, das von den hypnotischen Beats von Charlie Waynes Schlagzeug angetrieben wurde. The Speedy Wunderground haben zwar bisher mit ‚Sunglasses' und ‚Athen's France‘ erst zwei Songs veröffentlicht, ihr einstündiges Set war jedoch ebenso eindrücklich wie das jeder anderen Band. Die diffizile Komplexität des Live-Sounds der siebenköpfigen Band wird durch die subtilen, aber auch wilden Signale des Saxophonisten Lewis Evans verdeutlicht, der die Band durch jedes einzelne Segment ihres Sets leitet. Der Abend endete mit der bekannten, aber bisher unveröffentlichten Ode an Charli XCX: ‚Wet Sheets‘. Die Popkultur-Referenzen des Stücks, die durch die hyperreale Lyrik des Leadsängers Isaac Wood allgemeine Bekanntheit erlangt haben, stehen in perfektem Gleichgewicht zu den fesselnden und sphärischen Arrangements der Band. The Windmill bietet die experimentelle Plattform, auf der diese Art von Musik perfekt gedeihen kann.

Do Nothing, Drug Store Romeos, Legss, Norman – The Social, London – 27. Januar 2020

von Zak Sloman

Zu Beginn der Independent Venue Week veranstaltete das Musik- und Kunstmagazin ‚So Young‘ ein Konzert im The Social im Zentrum Londons. Gefeiert wurde die Eröffnung seiner Ausstellung, in der die besten im Magazin veröffentlichten künstlerischen Arbeiten der letzten 12 Monate gezeigt wurden.

Legss, eine vierköpfige Band, die der DJ Huw Stephens von BBC Radio 1 zu einer seiner Bands für das Jahr 2020 erkoren hat, kombinierte auf wirkungsvolle Weise ihren Post-Punk-Sound mit kurzen poetischen Monologen zwischen den Tracks. Und obwohl es einen kleinen Schreckmoment gab, als eine der Saiten des Gitarristen riss, kam dies beim Publikum gut an, das sich über einen richtigen Punkmoment freuen konnte. Als Gegenstück dazu diente das Hampshire-Trio Drug Store Romeos. Die Band musste wohl entschieden haben, dass eine weniger lebhafte, intimere Bühnenpräsenz besser geeignet war, ihren verträumten Pop-Sound und ihren weichen, zarten Gesang an das Publikum heranzutragen. Das machte sich bezahlt, denn nach Abschluss des Sets gab es begeisterten Jubel und Applaus.

Abgerundet wurde der Abend durch Do Nothing, ein Kollektiv, das sich dank seiner mitreißenden Mischung aus Post-Punk, Art-Rock und New Wave, gepaart mit Texten voller Humor und messerscharfem Witz sowie einem wachsenden Ruf für unberechenbare Live-Sets mittlerweile in der britischen Underground-Musikszene etabliert hat. Was auch immer passieren würde, wäre mit Sicherheit keine Enttäuschung. Im Laufe des Sets kam ich nicht umhin, zu bemerken, dass immer mehr Zuschauer energisch zur Musik tanzten und auch die Texte mitsangen. Das baute sich immer weiter auf, bis die letzte Nummer kam und das Publikum wirklich loslegte und sich vor der Bühne zu einem Moshpit formierte, wobei jegliche Zurückhaltung ad acta gelegt wurde. Angesichts dieses Erfolgs werden Do Nothing sicherlich irgendwann in naher Zukunft auch den Durchbruch im Mainstream schaffen, den sie so sehr verdient haben.

Alfie Templeman – The Horn, St. Albans – 29. Januar 2020

von Jess Openshaw

Alfie Templeman, der siebzehnjährige aufgehende Star, konnte sich kaum das Grinsen aus dem Gesicht wischen, als er als Headliner des BBC Introducing Showcase im Rahmen der Independent Venue Week im The Horn auftrat. Wer kann es ihm verübeln? Mit bereits drei veröffentlichten EPs, einem Vertrag bei Chess Club Records und einem Support-Slot bei seinen Labelkollegen Sundara Karma hat er jedes Recht, von einem Ohr zum anderen zu strahlen.

Heute mag ein weiterer kalter Winterabend sein, aber der in Bedfordshire geborene Sänger brachte seinen sonnigen Slacker-Indie-Pop nach St. Albans, um die Herzen der Fans mit Wärme zu erfüllen. Nach dem Auftakt mit ‚Who I Am‘ aus seiner letzten EP ‚Don't Go Wasting Time‘ begann die erste Reihe sofort zu hüpfen. Andere Songs von der EP folgten im Laufe des Sets, einschließlich des Discotracks ‚Circles‘, der, wie Templeman unbedingt klarstellen wollte, nicht nach den Bee Gees klingt. Ein besonderes Highlight des Abends war das bisher unveröffentlichte Stück ‚Wait I Lied‘, bei dem Alfie und seine Band einen wirklich tighten Auftritt lieferten, der den vollbesetzten Veranstaltungsort von vorne bis hinten zum Grooven brachte. Die Nacht endete schließlich mit ‚Like an Animal‘ von Alfies Debüt-EP – einem letzten freudigen Paukenschlag, der das Publikum sofort nach mehr verlangen ließ.

King Purple, Naked Next Door, The Keepers, Rolling Thunder – The Black Prince, Northampton – 30. Januar 2020

von Peter Dennis

Nachdem sie 50 % ihrer Besetzung ausgewechselt haben, war es nur natürlich, dass sich der Sound der The Keepers weiterentwickeln würde. Sie sind mittlerweile expansiver geworden und greifen eine größere Bandbreite an Einflüssen auf, sodass sie über ihre Retro-Wurzeln hinausgewachsen sind und nun deutlich zukunftsorientierter wirken. Sie legen richtig los und ab dem zweiten Track ‚Here Comes Spring‘ sind sie voll in ihrem Element. Sänger Jordan ist in jeder Hinsicht der Star, besonders wenn er in der Mitte des Sets seine Gitarre beiseitelegt, um sich einem verrückten Tanz hinzugeben, bevor die anstehende Single ‚Champaign Cocaine‘ das beeindruckende Set krönt.

Naked Next Door haben einen Sound, der wie geschaffen für die ganz große Bühne ist. Heute Abend liefern sie Indie-Banger nach Indie-Banger und man kann sich gut vorstellen, wie 10.000 Leute ihre Songs mitsingen. Vier unterschiedliche Persönlichkeiten agieren im Einklang, wobei ‚Not Much of Me‘ und die Lead-Single ‚Save It‘ besonders ergreifend sind.

Mein einziger bisheriger Kontakt mit den Headlinern von heute Abend war eine intime Akustikshow. Unter Strom werden sie nun zu einem ganz anderen Biest, zu einem Sammelsurium von Stilen von Psychedelic Rock bis Grunge, und es ist das Verdienst der Band, dass sie diese unterschiedlichen Einflüsse zu einem zusammenhängenden Ganzen zusammenfügen. Es ist ein interessantes Set, das sich ständig verändert, denn ‚Trembling‘ ist eine kantige, kraftvolle Angelegenheit; ‚Wasting Away‘ ein monolithischer Rocksong, während das darauf folgende ‚Twisted World‘ perfekt die Atmosphäre eines faulen Sommertags widerspiegelt. Das Set wird kurz unterbrochen, da die Band von den groovigen Jungs des New Boots Magazins eine Trophäe verliehen bekommt. Als Set-Closer spielen sie ‚Sleep to Dream‘, einen Track, der sich langsam steigert und mit einem fulminanten Finale endet.

Lune Attack – Kanteena, Lancaster – 1. Februar 2020

von Joseph Kondras

Die Kanteena in Lancaster feierte die Independent Venue Week mit einer Nacht, die allem Psychedelischen gewidmet war. Kuratiert von dem lokalen Kollektiv Lune Attack verkörperten die Veranstaltung und die Atmosphäre in dem vollgestopften, umgenutzten Lagerhaus all das, was für den DIY-Geist und unabhängige Veranstaltungsorte wichtig ist.

Dream English Kid hat die Menge mit zarter Eleganz berauscht. Live erinnern sie mit ihren Rollkragenpullis, Bobs und zuckersüßen Melodien, denen eine ätherische Melancholie gegenübersteht, an eine junge Françoise Hardy – wenn diese in Preston aufgewachsen wäre und die Cocteau Twins und Felt gehört hätte.

Die Purple Heart Parade löste in der Kanteena unterdessen einen überirdischen Sturm aus. Ein wogendes Meer von Rückkopplungen und kaskadierenden Gitarrenlinien strömte von der Bühne. Einflüsse der frühen The Verve und der Band Ride durchdrangen das Auf und Ab eines sowohl wilden als auch zarten Sets.

Es blieb den Fruit Tones aus Manchester überlassen, mit ihrem kraftvollen Garagenrock des 21. Jahrhunderts das Wellblechdach des Veranstaltungsorts einzureißen. Den Abschluss bildete ein verrücktes DJ-Set, das von den einheimischen Helden The Lovely Eggs zusammengestellt wurde und mich mit dem Gedanken zurückließ, dass man heutzutage wirklich nicht genug Lord Sitar in den Clubs hört ...

45s und The Temple Street Resistance – The Night Owl, Birmingham – 1. Februar 2020

von Sophie Hack

Das Brüderpaar The Temple Street Resistance erklomm die Paisley-Bühne mit einer abgegriffenen, aber erstmal unscheinbaren Akustikgitarre im Schlepptau. Ohne Zeit zum Herumalbern katapultierten die Ireson-Brüder mit Country-Slide-Gitarren-Licks phänomenale Klangwände in den Raum, die von punkigen Snares durchzogen waren, was für einen wilden, fast thrashigen Sound sorgte. Es war, als ob sich Rage Against the Machine und Seasick Steve zu einer nicht aufzuhaltenden Supergruppe zusammengeschlossen hätten. Neben den bekannten Lead-Singles ‚Wooden Boines‘ und ‚Fugazi T Shirt‘ veröffentlichten The Temple Street Resistance exklusiv für die Nacht im Night Owl die neuen Songs ‚I Got To Tolerate‘ und ‚Twisted Heart‘ und zogen die Zuhörer mit diesen feurigen, bourbongetränkten Hits in ihren Bann. Der perfekte Treibstoff für das Feuer, das der Headliner des Abends entfachte: 45s.

Die meisten Cover-Bands halten sich an den altbekannten roten Faden, die Vier-Akkorde-Formel, von der sie wissen, dass sie die Erwartungen der Zuschauer auf jeden Fall erfüllen wird. Die 45s aus Bristol dagegen zerreißen die Notenblätter komplett und stecken sie in Brand. Als die Höflichkeiten mit ein paar saloppen Sprüchen aus dem Weg geräumt waren, wurde die Sache ernst. ‚These Boots Are Made For Walking‘ wurde ebenso wie ‚Heard it Through the Grapevine‘ und ‚Miserlou‘ einer wilden Verwandlung unterzogen. Nicht einmal die Fab Four waren vor einer fulminanten Neuauflage sicher. Schlagzeuger Des stellte sicher, dass die fetten Beats im Refrain von ‚Come Together‘ keinesfalls zu kurz kamen. Eine raffinierte und überraschende Coverversion von Nirvanas 90er-Jahre-Hit ‚Breed‘ versetzte die 45s in einen kompletten Rausch. Bassist Rob stürzte sich in die Menge, während Des und Bob keine Grenzen kannten und es schafften, Grunge mühelos mit seiner älteren, in den 1960er Jahren entstandenen Cousine Garage zu mischen.